Quo vadis, Mac?
Über die Verschmelzung der Apple-Betriebssyteme und die Zukunft des Macintosh
iOS und OS X werden sich immer ähnlicher. Mit dem neuen Mountain Lion kommen im Sommer noch mehr Apps und Features aus iOS auf den Mac. Wird es bald nur noch ein gemeinsames System geben? Oder wird sich Apple auf kurz oder lang ganz vom Macintosh verabschieden? Eingefleischte Mac-User machen sich zunehmend Sorgen.
Für Apple ist die Weiterentwicklung der iOS-Plattform längst wichtiger, als die des Mac. Der Hersteller hat allein 2011 mehr iOS-Geräte verkauft, als Macs seit 1984. Das mag auch ein Grund dafür sein, dass neue Angebote und Funktionen nun häufiger zuerst für das iOS erscheinen (App Store, Benachrichtigungen, Erinnerungen, iMessage, Siri) - oder bestenfalls gleichzeitig auch für den Mac (Facetime).
Darüberhinaus treibt Apple die Vereinheitlichung der Bedienkonzepte über alle Gerätearten hinweg massiv voran. Wenn unterschiedliche Produkte auf ähnliche Weise funktionieren, hat das nicht nur für die Nutzer Vorteile. Auch für die Entwickler wird es einfacher. Technisch sind sich die Betriebssyteme ohnehin sehr ähnlich, künftig sollen sie sich auch in Sachen Bedienung möglichst gleichen. Doch wie genau soll das vonstatten gehen?
Zunächst wird das Entwicklungstempo von iOS und OS X synchronisiert. Für beide Plattformen wird es künftig Aktualisierungen im 12-Monats-Rhythmus geben. iCloud wird die zentrale Rolle beim Austausch von Informationen übernehmen. Das klassische Mac-Dateisystem wird nach und nach in den Hintergrund treten und irgendwann ganz aus dem Blick der Anwender verschwinden. Das hat Phil Schiller gegenüber John Gruber von Daring Fireball in einem Gespräch kürzlich noch einmal bestätigt.
Vielen langjährigen Mac-Usern sind Apples Konvergenz-Bemühungen allerdings ein Dorn im Auge. Vor allem Profis bemängeln, dass ihnen mit der fortschreitenden „iOSierung“ des Mac OS vieles an Flexibilität und Freiheit im Umgang mit individuellen Workflows genommen wird. Für sie ist der Mac ein Werkzeug zum Arbeiten und kein Konsumprodukt wie etwa das iPad.
Der Konflikt besteht darin, dass sich Profis und Power-User einen unbeschränkten Zugang zu sämtlichen Systembestandteilen wünschen, um zu jedem Zeitpunkt volle Kontrolle über das Geschehen zu wahren. Die Tatsache, dass grundsätzlich nur von Apple zugelassene Programme Zugriff auf die iCloud-Dienste haben, erhöht zudem den Druck, künftig ausschliesslich Anwendungen aus genehmigten Quellen zu nutzen. Das widerspricht eigentlich dem zu Individualismus und Nonkonformismus neigenden Mac-User.
Andererseits entspricht die Methode, Daten direkt zwischen Apps auszutauschen, eher den Erwartungen der allermeisten Normalanwender. Die Inhalte sollen im Mittelpunkt stehen, nicht deren Verwaltung. Apple arbeitet nach eigenen Angaben seit über zehn Jahren daran, den Zugriff auf das Dateisystem überflüssig zu machen. In iOS wurde dieses Konzept bereits umgesetzt. Auf dem Mac wird die „Transition“ noch etwas dauern - zunächst muss die Kundschaft noch ein wenig umerzogen werden.
Auch wenn Apple bereits im vergangenen Sommer das Wort „Mac“ aus dem Namen „OS X Lion“ entfernt hat und sich die Systeme immer mehr ähneln, wird uns das Mac OS noch eine Weile erhalten bleiben, bevor es von einem gemeinsamen Nachfolge-Betriebssystem abgelöst wird.
Bei der Hardware sieht es ähnlich aus: Der Mac ist als Produkt noch zu wichtig, als dass Apple ihn in naher Zukunft sterben lassen könnte. Immerhin wollen Inhalte nicht nur konsumiert werden - sie müssen auch mit brauchbaren Mitteln hergestellt werden. Und was wäre dafür besser geeignet, als ein Mac?
Bis es soweit ist, dass Multitouch-Geräte den Mac vollständig ersetzen können, werden die Kalifornier weiter am „Benutzererlebnis“ arbeiten. Das bedeutet, die Anreize, sich als Kunde dem Apple-Ecosystem vollständig hinzugeben, werden in Zukunft noch erheblich zunehmen. Der Apfelgarten wächst und gedeiht - obwohl die Mauern drumherum immer höher werden.
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Illustrationen: Apple Inc; Text: Thomas Landgraeber
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