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Ist Final Cut Pro X ein Flopp? [Update 2]

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Neues Konzept und fehlende Features empören viele Fans - Profis reagieren gelassener
Mit der neuen Version seiner Videoschnitt-Software Final Cut Pro wirft Apple wieder mal alte Traditionen über den Haufen und geht neue Wege: Videoschnitt soll so einfach und so schnell wie möglich werden. Eine neue, dynamische Oberfläche mit “magnetischer” Zeitachse ersetzt separate Timeline-Tracks. Video, Audio und andere Medien lassen sich einfach verknüpfen, Titel, Blenden und Effekte werden in Echtzeit gerendert und alles soll auch dann noch perfekt zusammen spielen, wenn man ganze Blöcke verschiebt. Doch das neue Konzept kommt nicht bei allen Anwendern gut an. Apple solle das Programm lieber “iMovie Pro” nennen, meinen viele.

In den einschlägigen Mac-Foren geht es derzeit hoch her. Viele Mac-User sind entsetzt über den radikalen Bruch, den Apple seinen Kunden zumutet. Für manche ist das neue Final Cut nichts anderes als Spielzeug. So gibt es derzeit kein Multi-Camera-Editing, keine native OMF-, EDL- und XML-Unterstützung und auch keinen Support für Red-Cameras. Was ebenfalls fehlt, ist die Möglichkeit, separate Scratch Disks (Arbeitsfestplatten) zuzuweisen.

In der Vorversion 7 gab es all das. Apple will bestimmte Features innerhalb der nächsten 12 Monate nachliefern - aber nicht alle. Für Enttäuschung sorgt auch die Tasache, dass sich ältere Projekte aus FCP 7 nicht vernünftig in die neue Version importieren lassen. Apple scheint dies auch nicht für spätere Updates zu planen.

Die Liste der Mängel ist damit aber noch nicht zu Ende. Für professionelle Workflows fehlen bestimmte In- und Export- bzw. Weitergabe-Möglichkeiten. So erledigen viele Postpro-Betriebe die Tonbearbeitung in ProTools. Mit Final Cut Pro X benötigt man dazu die 200-Dollar-Software Automatic Duck Pro Export 5.0. Ausserdem neigen Anwenderberichten zufolge sowohl Final Cut Pro, als auch die optional erhältlichen Programme Motion und Compressor zu häufigen Abstürzen.

Womit viele auch überhaupt nicht klarzukommen scheinen, ist die Tasache, dass sich die verwendeten Mediendateien nicht nach eigenem Gusto organisieren lassen. Man wirft einfach alles hinein und das Programm sorgt für eine “intelligente” Verwaltung. Wer es gewohnt ist, pingelige Ordnung zu halten, wundert sich über die Einfachheit der Dateiorganisation.

Für viele angestammte User sind das entschieden zu viele Nachteile. Manche, die sich das Programm in der ersten Euphorie sofort im Mac App Store gekauft haben, fordern nun in den Reviews ihr Geld zurück. In manchen Foren ist die Empörung riesengross.

Doch wenn man mal das Fan-Gechrei und den Chor der ewigen “Apple-lässt-den-Profibereich-sterben”-Sänger ausblendet und “richtige” Cutter fragt, erhält man ein deutlich differenzierteres Meinungsbild. Ich arbeite als Tonmeister ständig mit Spielfilm-Cuttern zusammen, habe viele von ihnen jahrelang als Mac-Supporter beraten und die FCP-User nach ihrer Meinung gefragt.

Die meisten sehen die Probleme gelassen, insbesondere seit Apple bekannt gab, dass die alte Version 7 auch auf dem nächsten Mac-Betriebssystem OS X 10.7 Lion lauffähig sein wird. Das heisst, die alte Version wird noch einige Zeit zur Verfügung stehen - auch wenn sich derzeit keine Lizenzen mehr dafür erwerben lassen.

Manche sind aber auch enttäuscht. Ihnen wäre eine deutlich professionellere Ausrichtung und eine vollwertige Alternative zum Avid Media Composer lieber gewesen, als ein “iMovie Pro”. Wer bereits vor der Premiere von FCP X über einen Wechsel zur Avid Plattform nachgedacht hat, dürfte nun kaum noch Gründe dafür finden, in Zukunft dem Apple-Schnittprogramm die Treue zu halten.

Final Cut Pro X ist ein komplett neuer Entwurf, der laut Apple das Editieren von Videos revolutionieren soll. Ideal, um schnell und einfach ein paar Sachen zusammen schustern, die sofort erstklassig aussehen. Apple hat offensichtlich eine wesentlich grössere Zielgruppe im Auge: Die Heerscharen an Mediengestaltern, Werbe-, Imagefilm-- und Nachrichten-Cuttern, sowie Semi-Profis und ambitionierte Amateure, die unkompliziert und zuverlässig zu guten Ergebnisse kommen möchten.

Beim neuen Final Cut ist viel von “Prosumer”-Produkt die Rede, doch man sollte nicht vergessen, dass auch viele Profis semi-professionelle Hard- und Software einsetzen, wenn es schnell und billig sein soll. Anspruchsvolle Projekte mit entsprechenden Budgets werden in dieser Branche nach wie vor überwiegend mit mehr zehnmal so teuren Konkurrenzprodukten realisiert. So gesehen könnte FCP X den Profi-Markt aufgrund seiner Andersartigkeit bereichern.

Dass bestimmte Features und Formate noch einige Zeit auf sich warten lassen werden und einige I/O-Optionen wohl nur von Drittanbietern angeboten werden, ist für Profis kein grosses Problem. Niemand, der seinen Lebensunterhalt mit dem Schneiden von Videomaterial bestreitet, würde jetzt sofort auf das neue Final Cut umsteigen. Solche Neuheiten werden erstmal gründlich getestet, bevor sie in echte Produktionsabläufe integriert werden. Und dass man für die Unterstützung bestimmter Formate gesondert zur Kasse gebeten wird, ist in dieser Branche wirklich nichts Neues.

Ich halte die lautstarke Empörung deshalb für etwas übertrieben. Sicher, es ist nicht mehr das “gute alte” Final Cut, das weder sonderlich intuitiv zu bedienen, noch besonders leistungsfähig war - es ist ein ganz neues Baby. Auf modernen, teuren Macs läuft es sehr flott und Berichten zufolge soll es richtig Spass, damit herumzuspielen (Test demnächst hier bei Geek Out).

Final Cut Pro X ähnelt eher dem, was man sich unter einem modernen Final Cut Express vorstellt. Preislich liegt es ebenfalls in dessen Region. Vielleicht soll das “X” im Namen ja auf “Express” hindeuten? Die Zukunft wird zeigen, ob Apples neuester Versuch, die Ansprüche von Profis und Amateuren unter einen Hut zu bekommen, geglückt ist - oder gescheitert.

Update: Apple hat eine FAQ-Seite online gestellt, welche die am häufigsten gestellten Fragen zu Final Cut Pro X beantortet (bisher nur in englischer Sprache).

Bild: Apple Inc; Text: Thomas Landgraeber

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